Besuch eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers
28. Juni 2024 | WLZ 116 | Autorin: Stefanie Schadler
Das Zwangsarbeiterlager in Tauchen war während des Zweiten Weltkrieges das größte im Wechselland. Der Historische Verein Wechselland forscht seit knapp zehn Jahren daran.
Das Lager wurde von einem amerikanischen Flieger im Jahr 1944 aufgenommen. Es handelt sich um das einzige Luftbild des Lagers, an der markierten Stelle sind die Baracken erkennbar.
Fotos © Historischer Verein Wechselland
Sicherer Standort
Anfang Juni lud der Historische Verein Wechselland zu einem Spaziergang zum Standort des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers (1943–1945) in der Nähe von Tauchen am Wechsel. Mit dabei war John Pas, ein Niederländer, dessen Vater als Zwangsarbeiter hier stationiert war. Mittels eines gefundenen Tagebuchs des Freundes seines Vaters war es möglich, Details über das Zwangsarbeiterlager zu ergänzen.
Der Tunnel wurde bereits im Jahr 1941 aus militärstrategischen Gründen für zwei Wochen zum Versteck des „Führungshauptquartiers“. Dabei wurde Adolf Hitler von ranghöchsten Nationalsozialisten begleitet (siehe Bild rechts).
Durch diesen Besuch wurde auch die Rüstungsindustrie mit Namen „Wiener Neustädter Flugzeugwerke“ (WNF) auf den Tunnel aufmerksam, weshalb dort ein Zwangsarbeiterlager gebaut wurde. Zudem fielen in Wiener Neustadt zahlreiche Bomben, wogegen Tauchen inmitten von Wald und im Tunnel einen sicheren Ort bot, der zudem nicht weit von Wiener Neustadt entfernt war.
Das Lager in Tauchen wird als „Tauchen-Projekt-S“ bezeichnet. Die Nazis hatten oft Tarnnamen für geheime Standorte. Die Einheimischen in Tauchen wussten, dass das Lager „streng geheim“ war und niemand traute sich dorthin, dadurch gibt es auch nur sehr dürftige Informationen. Für was „Projekt S“ steht, konnte Dr. Andreas Salmhofer, Obmann des Historischen Vereins Wechselland, bis dato nicht herausfinden. Er forscht bereits seit fast zehn Jahren zu dem Thema und war unter anderem am Staatsarchiv und Bundesarchiv, aber nirgends sind Daten zum Lager zu finden. Selbst die ÖBB hat keine Aufzeichnungen zum zweiten Gleis, das im Folgenden näher beschrieben wird.
Produktion auf Waggons
Im Großen Hartberg-Tunnel befand sich das größte Zwangsarbeiterlager des Wechsellandes mit einer Arbeitsfläche von rund 1.600 Quadratmetern. Dabei wurde auf Waggons gearbeitet. Auf der Gleisstrecke vor dem Südportal war eine Weiche eingebaut, von der ostseitig ein paralleles Nebengleis abzweigte. Der Zivilverkehr konnte dadurch regulär stattfinden. Am errichteten Gleis standen zwei Lokomotiven bereit, an die innerhalb der Halle zwölf bis fünfzehn Waggons angehängt waren. Bei Fliegerangriffen konnten sie in den schützenden Tunnel einfahren, wodurch die Produktion gesichert war. Auf den Waggons waren Spezialmaschinen angebracht, die auf den hölzernen Arbeitsflächen herausgedreht werden konnten. Im Zwangsarbeiterlager wurden Teile des Jagdfliegers ME 109 – Messerschmitt gebaut. Früher vermutete man eine bombensichere Betriebsstätte, doch diese Annahme sei durch Zeitzeugengespräche über den Historischen Verein Wechselland in den vergangenen Wochen widerlegt worden, so Salmhofer. Stattdessen handelte es sich nur um eine banale Teilüberdachung beim zweiten Gleis, die früher als Produktionshalle interpretiert wurde. Die Fertigstellung der Bauteile dürfte laut Salmhofer tatsächlich nur auf den Waggons stattgefunden haben. Nachts wurden die Erzeugnisse mit Lkws zur Hauptfabrik nach Wiener Neustadt abtransportiert.
360 Personen im Lager
Salmhofer geht zu Höchstzeiten von etwa 360 Personen aus – genannt „Gefolgschaft“ –, die sich im Zwangsarbeiterlager befanden. Diese bestand aus etwa 300 ausländischen Zwangsarbeitern, unter anderem aus den Niederlanden, Polen und Ukraine, die keine Freiheiten oder sonstige Vergünstigungen hatten. Die weiteren 60 Personen waren deutsche/österreichische Facharbeiter aus der Rüstungsproduktion. Diese waren keine Zwangsarbeiter, wurden regulär bezahlt und hatten sogar Urlaub. Die Arbeiter lebten am Areal in Wohn- und Essbaracken und waren, eingeteilt in drei Schichten, zur Arbeit verpflichtet.
Das Krankenhaus in Hartberg war damals verantwortlich für verletzte oder kranke Zwangsarbeiter, daher sind aus Aufzeichnungen auch der Name des Lagers, „Tauchen Arbeiterlager“, bekannt sowie die Nationalitäten der Zwangsarbeiter, Geburtsdaten etc. Aus den Aufzeichnungen gehen zudem keine Todesfälle hervor.
Das Zwangsarbeiterlager war nicht umzäunt, dennoch gab es keine Möglichkeit zu fliehen. Generell galt bei der Zwangsarbeit, dass die Arbeit erledigt werden musste und die Personen grundsätzlich nicht zu Tode kommen sollten. Bei Nichterledigung der Arbeit oder im Fall, dass jemand floh und dabei erwischt wurde, drohten drakonische Strafen und eventuell die Inhaftierung in einem Konzentrationslager.
Tagebucheinträge
Jan Pas, der Vater von John Pas, war von Oktober 1942 bis Mai 1945 als Zwangsarbeiter eingesetzt. John Pas hat das Buch „Kein Feuerwerk am Silvester“ veröffentlicht, das Tagebucheinträge des Freundes seines Vaters, Nico Vos, enthält, die gemeinsam unter anderem im Zwangsarbeiterlager am Großen Hartberg-Tunnel waren.
Als Holländer war er aufgrund der „Rassenhierarchie“ der Nazis etwas bessergestellt als zum Beispiel Russen und Ukrainer, die als „Untermenschen“ eingestuft waren. Im Gegensatz zu anderen Zwangsarbeitern hatten Holländer einen gewissen Bewegungsspielraum und konnten unter anderem kleine Stadtbesichtigungen unternehmen. Jan Pas war als Zimmermann tätig, für die Infrastruktur zuständig und hat im Bautrupp unter anderem die Baracken mitgebaut.
John Pas erinnert in seinem Buch an die psychischen Folgen, die sein Vater durch die Erlebnisse während der Zwangsarbeit davontrug. Sein Vater konnte darüber nicht sprechen, ihn quälten Albträume und er ertrug keinen Lärm. Daher gab es zu Silvester bei der Familie Pas auch „kein Feuerwerk“. Das Buch ist über den Historischen Verein erhältlich.
Heute ist der Große Hartberg-Tunnel nur mehr eingleisig, das zweite Gleis und die gesamte Anlage wurde nach Kriegsende von den Einheimischen abgetragen, weshalb man heute noch Teile der Baracken und Fundamentteile in den Bauernhäusern verbaut findet.
Im Reinen mit Österreich
John Pas, Jahrgang 1952, war ab 1963 immer wieder mit seinen Eltern in Österreich. Er selbst hat keine negativen Gefühle gegenüber diesem Ort, an dem sein Vater Zwangsarbeit verrichten musste. Im Gegenteil: Die Verbindung zu Österreich wurde von seinen Eltern stets aufrechterhalten – nicht zuletzt auch deshalb, weil seine Eltern 1948 ein Mädchen aus Österreich zur Erholung aufgenommen hatten. Die Caritas hatte damals unter anderem in Holland für rund 10.000 Kinder Personen gesucht, die diese für kurze Zeit aufnehmen konnten. Mit dem Mädchen, das als erwachsene Frau mittlerweile in Köflach wohnt, bestand bis zum Tod seines Vaters im Jahr 1985 Kontakt.